Erwartung op. 17, Partiturabschrift | Arnold Schönberg Center, Wien

Autographe Manuskripte und andere zur Genese eines Werkes maßgebliche Quellen, die als verschollen gelten, sind selbst im bestens erschlossenen Schönberg-Universum zahlreich.

Kriegsbedingte Zerstörung, Verluste durch mangelhafte Bewahrung durch Auftraggeber oder Geschenknehmer, postalische Wirren – die Gründe für Fehlstellen in der Gesamtheit je aus Kontexten erschlossener Musikalien, Briefe, Dokumente und anderer Archivalien sind so mannigfaltig wie die Zeitläufte in der Lebensspanne des Komponisten.

In der Schönberg-Gesamtausgabe werden verschollene Quellen mit einem Asterisk versehen: zum Beispiel op. 34, B* (Reinschrift der Begleitungsmusik zu einer Lichtspielszene – höchstwahrscheinlich bei einem Feuer im II. Weltkrieg zerstört). Nur selten »fällt« einer dieser Sterne neben den Quellensigeln. Manchmal bedarf es dazu mehrerer Jahrzehnte.

Im Spätsommer 1909 komponierte Schönberg das Monodram Erwartung op. 17 nach einem Text von Marie Pappenheim. Anfang 1910 verhandelte er mit dem Dirigenten Artur Bodanzky über eine Uraufführung des Werkes am Nationaltheater in Mannheim. Im Zusammenhang der Vorbereitungen zu dieser prospektiven Premiere wurden zwischen Februar und Juni 1910 in Ermangelung einer eigenen Vorlage, auf die sich der Schreiber bzw. Kopist stützen konnte, direkt aus Schönbergs autographer Partitur Stimmen ausgeschrieben. Die Uraufführung scheiterte an der Unterbesetzung des Mannheimer Orchesters und musste zunächst auf die Spielsaison 1913/14 verschoben werden. Am 25. Oktober 1913 berichtete Schönberg seinem Verleger Emil Hertzka, dass er außer seiner eigenen Partitur mittlerweile auch noch über eine »Kopie« verfügte: »Ich habe zwei Partituren; die Kopie aber ist nicht korrigiert […] Lassen Sie die Kopie von Herrn [Hermann] Scherchen revidieren und legen wir diese dem Druck zu Grunde. Eine Korrektur lese ich selbst, die andere liest Scherchen.«

Auch der zweite Anlauf zur Aufführung der Erwartung in Mannheim blieb erfolglos; die Premiere des Monodrams sollte erst 1924 unter der Leitung von Alexander Zemlinsky in Prag stattfinden. Die in Mannheim hergestellten Orchesterstimmen verblieben im Notenarchiv des Nationaltheaters und wurden vermutlich bei einem Bombardement des Gebäudes am 5. September 1943 zerstört.

Die im Brief an Emil Hertzka erwähnten beiden Partituren gingen getrennte Wege: Die autographe Partiturreinschrift verblieb im Zusammenhang der Drucklegung im Archiv der Universal Edition und wurde 1962 von dem US-amerikanischen Sammler Robert Owen Lehman erworben. Heute befindet sich dieses Manuskript in The Morgan Library & Museum (ehemals Pierpont Morgan Library), Mary Flagler Cary Music Collection, in New York.

Über den Verbleib der Kopie herrschte bislang Unklarheit. In der Schönberg-Gesamtausgabe (Serie B/Band 6,2) findet sich der Eintrag »D* Partiturabschrift verschollen«. Eine unserem Archiv vor kurzem von privater Hand übergebene Kopistenabschrift der Erwartung scheint mit dieser Quelle identisch zu sein. Das Manuskript gelangte möglicherweise als Geschenk von Schönberg selbst in den Besitz seines Schülers Norbert von Hannenheim. Dieser hatte im Juni/Juli 1930 in Berlin für seinen Lehrer einige Korrekturarbeiten im Zusammenhang der Drucklegung der Sechs Stücke für Männerchor op. 35 bei Bote & Bock erledigt. Zudem bestand ein zeitlicher Zusammenhang mit einer Bühnenrealisierung der Erwartung, die am 7. Juni 1930 in der Krolloper Berlin unter der Regie von Arthur Maria Rabenalt (Dirigent: Alexander Zemlinsky) stattfand. Es ist möglich, dass Schönberg das Manuskript Hannenheim als Dank für geleistete Dienste überließ.

Hannenheims Manuskripte eigener Kompositionen sowie weiterer Musikalien, so sie den Krieg überstanden, gingen nach dessen Tod († 1945) in den Besitz der Pianistin Else C. Kraus († 1978) über, danach – zumindest in Teilen – an den Komponisten, Musikologen und Hannenheim-Forscher Dieter Acker († 2006). Wir danken dessen Witwe für die Rückführung der Erwartung Quelle D (nun ohne *) zu der im Center in Wien aufbewahrten Schönberg-Sammlung.

Therese Muxeneder

Weiterführende Lektüren

Herbert Henck: Norbert von Hannenheim. Die Suche nach dem siebenbürgischen Komponisten und seinem Werk. Deinstedt 2007

Arnold Schönberg: Bühnenwerke I. Erwartung op. 17: Kritischer Bericht, Skizzen, Textgenese und Textvergleich, Entstehungs- und Werkgeschichte, Dokumente. Und Pippa tanzt! (Fragment). Hrsg. von Ullrich Scheideler. Mainz, Wien 2005 (Sämtliche Werke. Abteilung III: Bühnenwerke. Reihe B, Band 6, 2)